Erstelle eine Website wie diese mit WordPress.com
Jetzt starten

Der Mann, der den G-Punkt (er)fand

Selten fand ein medizinischer Fachbegriff so breiten Eingang in die Populärkultur wie der Terminus „G-Punkt“. Um ihn und seine Geschichte zu verstehen, müssen wir fast 100 Jahre in die Vergangenheit reisen: In die Gynäkologie-Praxis des Mannes, der den G-Punkt (er)fand.

Ernst Gräfenberg, im Jahr 1881 als Sohn eines jüdischen Eisenwarenhändlers geboren, war einer der ersten Ärzte, der in den 1920ern über die weiblichen Geschlechtsorgane und den Orgasmus forschte – Themen, die zu dieser Zeit nur zögerlich an die Öffentlichkeit gelangten.

(Fun-Fact am Rande: Promoviert hat er übrigens im März 1905 mit einer Arbeit über „Die Entwicklung der Knochen, Muskeln und Nerven der Hand und der für die Bewegungen der Hand bestimmten Muskeln des Oberarms“. Kann auch schon in eine gewisse sexuelle Richtung gehen, wenn man denn so will.)

In seiner Klinik in Schöneberg führte er als einer von wenigen Ärzten Schwangerschaftsabbrüche durch, entwickelte den ersten Eisprungtest und forschte über das noch unbekannte Feld der weiblichen Ejakulation. Auch im Bereich der Empfängnisverhütung machte er mit der Erfindung des Gräfenberg-Rings (ein mit Silberdraht umwickelter Ring, der Vorläufer der heutigen Spirale) große Fortschritte. Doch für nichts ist Gräfenberg so bekannt wie für seine Studien der weiblichen Geschlechtsorgane – besonders im Hinblick auf den Orgasmus.

Erste Erwähnung im Jahr 1950

Wie vielen seiner Kollegen mit jüdischer Abstammung wurde ihm während der Zeit des Nationalsozialismus der Doktortitel aberkannt, jedoch 1954 wieder zugesprochen. Zu dieser Zeit war er bereits nach New York emigriert, wo er 1957 starb. In seinem amerikanischen Exil beschrieb Gräfenberg zum ersten Mal die erogene Zone, die sich Jahrzehnte später als „G-Punkt“ in die populärwissenschaftliche Aufmerksamkeit drängen sollte:

Einige Untersucher der weiblichen Sexualität glauben, dass die meisten Frauen keine Erfahrung mit dem vaginalen Orgasmus haben, weil es keine Nerven in der Vaginalwand gibt“, heißt es in seiner viel zitierten Arbeit im International Journal of Sexology von 1950. „Dieser Artikel hat, hoffe ich, zeigen können, dass die vordere Vaginalwand unterhalb der Urethra der Sitz einer ausgeprägten erogenen Zone ist und dass diese bei der Behandlung weiblicher sexueller Mangelzustände eine größere Bedeutung erhalten sollte.“

Interessanterweise sprach Gräfenberg selbst nie von einem „Punkt“, sondern eher von einem besonders erogenen Areal, welches sich vier bis fünf Zentimeter vom Scheideneingang entfernt in der vorderen Vaginalwand befinden soll. Hier vermutet man auch den Ursprung der so genannten weiblichen Ejakulation.

Entdeckung oder Erfindung?

In der Zeit seiner Entstehung fand Gräfenbergs Theorie nur wenig Beachtung. Manche Forscher hatten den inneren Bereich der Vagina bereits als empfindungsarm beschrieben, auch die führenden US-Sexualwissenschaftler William Masters und Virginia Johnson taten es als „irrtümliches, wenn auch weit verbreitetes Konzept“ ab. Und auch heute betonen kritische Stimmen immer wieder, bei dieser besonders erogenen Zone der Frau handele es sich weniger um eine Entdeckung, als vielmehr um eine Erfindung.

© 2019 Dr Bernard Kassab

Die 80er Jahre gelten nichtsdestotrotz als Renaissance der Gräfenberg-Theorie: Die US-amerikanischen Sexualforscher John Perry und Beverly Whipple stellten Forschungen zur weiblichen Ejakulation an und gaben dem ihr zu Grunde liegenden Areal im Gedenken an Gräfenberg den Namen „G-Spot“. Perry und Whipple glaubten damals, in ihm den Auslöser, also das „Triggerareal“, für den vaginalen Orgasmus identifiziert zu haben. 

Seitdem hält sich ein hartnäckiger Diskurs über die (Nicht)-Existenz des G-Punktes, dieser vermeintlichen weiblichen Prostata. Fakt ist: Bis heute ist der G-Punkt ein Ideenquell für Geschäftsideen, teure Liebestipps und Projektionsfläche verschiedenster Fantasien. Ob er Realität ist oder ein unbewiesener Mythos bleibt, kann Frau dabei wohl nur selbst herausfinden.

Titelbild: © https://www.facebook.com/Ernst.Graefenberg/

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Website bereitgestellt von WordPress.com.

Nach oben ↑

%d Bloggern gefällt das: